Wieso weinen wir?

Klar, Gründe gibt es viele. Wenn Babys weinen, können Frauen sofort 15-20 Gründe dafür angeben, von Hunger über Schmerzen bis zur vollen Windel (Männer dagegen nennen nur 2-3 Gründe!). Und obwohl unsere Hormone und vor allem gesellschaftliche Normen unser Heulen mit dem Erwachsenwerden stark regulieren, weinen wir bei starken Gefühlsturbulenzen.

Trauerfälle, Enttäuschungen, aber auch große Freude genau wie Schrecken, Angst oder Wut können uns zum Weinen bringen. Kurz: Jede wirklich tiefe Emotion drückt auf die Tränendrüse. Gut zu beobachten im Kino, wo Menschen innerhalb von 2 Stunden oder sogar gleichzeitig aus Freude und Trauer heulen können.

Der Mensch weint also in bestimmten Situationen, weil ihn tiefe Emotionen ergreifen. Aber warum kullern uns Tränen aus den Augen? Evolutionär gesehen ist das eigentlich sinnlos. Tränen verschleiern uns die Sicht. Sie lähmen uns in gewisser Weise. Viel sinnvoller wäre es doch, wenn wir z.B. bei großer Wut anfangen würden, an den Armen zu schwitzen, weil wir dann besser kämpfen könnten. Oder bei großer Freude einfach unser strahlendes Lächeln behalten, damit wir anderen klar und deutlich signalisieren, dass wir uns wahnsinnig gut fühlen – statt verschämt vor lauter Glück vor uns hinzuheulen.

Evolutionsforschern ist das Weinen seit langem ein Rätsel. Sie haben deshalb einige rührende Theorien aufgestellt, die zur Zeit wissenschaftlich überprüft werden. Hier die besten:

1. Der Evolutionsbiologe Oran Hasson von der Universität Tel Aviv nimmt an, dass Weinen bei anderen Menschen Bindungsgefühle erzeugt und Aggressionen hemmt. Wenn wir Menschen weinen sehen, halten wir sie für vorübergehend hilflos und verletzlich. Und meist empfinden wir dann Mitgefühl und Verständnis, was uns schließlich dazu verleitet, den Weinenden zu helfen. Hasson ergänzt: „Der Flüssigkeitsfilm, der häufig mit einer Rötung der Augen einhergeht, erschwert Betrachtern die Sicht auf die Blickrichtung und die Pupillenbewegungen. Weinen also als ‚tarnen und täuschen‘, wenn wir angegriffen oder beleidigt werden.

2. Die „Katharsis-Theorie“. Seit Hippokrates hielt sich als gängige Meinung unter Wissenschaftlern, dass mit den Tränen stresserzeugende Substanzen ausgeschieden werden. Der Theorie liegt die Alltagsbeobachtung zu Grunde, dass Weinen offensichtlich gut tut. Würde man die Tränen zurückhalten, so entstünde chronischer Stress und Missmutigkeit. Gegen diese Theorie spricht allerdings, dass der allergrößte Teil der Tränen durch den Tränen-Nasen-Gang in die Nasenhöhle und den Rachen zurückfließt. Deshalb schlucken wir auch so oft beim Weinen und deshalb läuft uns auch die Nase. Das wichtigste Argument gegen die Katharsis-Theorie ist aber, dass in Tränenflüssigkeit, anders als bei anderen Körperflüssigkeiten, gar keine Schadstoffe nachgewiesen werden konnten. Tränen beruhigen also nicht.

3. Im Gegenteil: Weinen beunruhigt uns eher noch mehr. Der Psychologe James Gross führte Studentinnen traurige Filmszenen vor und maß dabei ihr Stressniveau. Ergebnis: Der Stress stieg an, wenn die Studentinnen weinten und war noch eine Zeit danach messbar erhöht.

4. Ist Weinen also schädlich? Nein, im Gegenteil! meinen die meisten evolutionären Psychologen und argumentieren ähnlich wie Oran Hasson: Weinen hat eine starke soziale Bedeutung. Indem wir weinen, kommunizieren wir unsere Emotionen sehr deutlich und lassen andere daran teilnehmen. Selbst wenn wir allein vor uns hingeweint haben, lassen unsere geröteten Augen noch Stunden später auf unsere Gemütslage schließen und provozieren damit, dass sich andere um uns kümmern, Verständnis zeigen oder uns einfach in Ruhe lassen.

Es scheint also fast sicher: Weinen hilft. Wenn auch die Tränen nicht direkt etwas bringen – oder vielmehr: etwas lösen oder abbauen -, so helfen sie uns bei der Kommunikation unserer Gefühle. Gerade bei Menschen, die sonst sehr gefasst sind, können plötzliche, ehrliche Tränen erstaunliche Wirkung zeigen: Gegner ziehen sich zurück, Umstehende trösten und nahe stehende Personen können spontan mitweinen – einfach aus Mitgefühl und Verständnis. Was dann letztlich wieder dem Weinenden gut tut, wenn er es erkennt und annimmt.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Hasson, O. (2009). Emotional Tears as biological signals. Evolutionary Psychology, 7:363-370

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