Verliebtsein und die reife Liebe

Gegenseitige Anziehung erfordert, dass die Distanzierung voneinander geringer ist als die Kraft, die zueinanderführt. Auch wenn das Ziel, die reife Liebe, ein ausgewogenes oder auch aufregendes Wechselspiel darstellen soll, eine dynamische Balance aus Nähe und Distanz in Form einer lebendigen Harmonie, so steht am Anfang meist nur die Anziehung zueinander.

Wenn wir davon sprechen, dass Verliebtsein blind macht, dann meint dieser Ausspruch nichts anderes, als aus Freude über die Entdeckung eines Menschen, den wir als begehrenswert und faszinierend empfinden, über irgendwelche Nachteile oder unpassende Eigenschaften, die er gleichzeitig besitzt, hinwegzusehen. Im Zustand des Verliebtseins möchten Sie am liebsten die ganze Zeit mit diesem Menschen zusammen sein. Plötzlich erscheinen Ihnen sämtliche andere Sachen unwichtig. Und dennoch, wenn Sie durch die Straßen gehen, erleben Sie eine andere Welt, es ist als wenn Sie eine verklärende Brille auf den Augen hätten, als wenn Sie einen Kopfhörer auf den Ohren hätten, als wenn ein Film in Ihrem Kopf abliefe, der eigentlich immer nur die eine Frau oder einen Mann zeigt, in die Sie gerade verliebt sind.

Solange Sie das Verliebtsein brauchten, solange Sie den anderen Partner brauchten, hatten Sie auch im selben Ausmaß Angst vor dem Verlust des Partners, Angst um den Verlust dieser Form von Liebe, die Ihnen vorübergehend totalen Lebenssinn gab. Wenn Sie die Verliebtheit in Liebe transformieren konnten, dann bedeutet das, dass es Ihnen gelungen ist, Selbstliebe und Partnerliebe miteinander zu verbinden.

Sie spüren, dass Sie alleine leben könnten, Sie wissen, dass Sie auf die Liebe des Partners nicht angewiesen sind, um existieren zu können! Die Liebe ist in diesem Fall nicht mit existentieller Angst verbunden, die im Fall des Verliebtseins auftritt, wenn sie Ihnen verlustig zu gehen droht. So können Sie die reife Liebe als Ergänzung schätzen, als Erfüllung, als eine Kraftquelle, die ihr Leben freier macht, reicher macht.

Und Sie erleben vor allen Dingen die Erfahrung, dass Geben glücklicher macht als Nehmen. Gerade in der Handlung des Gebens erlebe ich meine Kraft, meine ,,Wohlhabenheiten’’, meine Potenz. ,,Nicht der, der hat, ist reich, sondern der, der viel gibt’’ (Erich Fromm).

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Lermer, Stephan. Liebe und Angst. mvg Verlag

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