Psychologische Begriffe: Fundamentaler Attributionsfehler

Stellen Sie sich vor, Sie sehen sich das abendliche Fernsehquiz an. Wen halten Sie gewöhnlich für schlauer? Den Quizmaster oder die Kandidaten? Und wie steht es mit Ihnen selbst? Sind Sie schlauer als der Quizmaster oder die Kandidaten oder liegt Ihre Intelligenz irgendwo dazwischen?

Nicht sicher? Stimmt. Wir wissen es eigentlich nicht. Vor allem nicht in Einzelfällen. Trotzdem scheint der Quizmaster immer alle Antworten zu kennen und kann sich darüber auch eloquent äußern. Sicher ein intelligenter Mann. Und die Kandidatin: bei 500€ versagt. Nicht die Hellste.

Die oben beschriebene Einschätzung ist ein gutes Bespiel für einen oft begangenen Wahrnehmungsfehler, der im Englischen als ‚Actor-Observer-Effect‘ bezeichnet wird. Er beschreibt die Tatsache, dass wir Verhalten anderer Menschen oft auf deren Persönlichkeit zurückführen, während wir unsere eigenen Verhaltensweisen gewöhnlich differenzierter betrachten und auf die Umstände schieben.

Ein weiteres typisches Beispiel für den im deutschen als ‚Fundamentaler Attributionsfehler‘ bekannten Effekt ist Streit in der Partnerschaft: „Immer wirfst du mir Dinge vor, die unter die Gürtellinie gehen! So bist du eben: Kein Niveau!“ Man selbst ist natürlich „jedesmal anders“ und kann sich gut auf verschiedene Themen und Situationen einstellen. Der andere „ist halt so“, demnach persönlich verkorkst und eigentlich nicht mehr zu retten. Der Streit eskaliert.

Für den Fundamentalen Attributionsfehler gibt es vier wesentliche Erklärungen:

  1. Unterschiedliche Informationsgrundlage: Offensichtlich wissen wir mehr über uns selbst als über die anderen Menschen. Wir erleben uns in vielfältigen, unterschiedlichen Situationen und begreifen, dass wir uns je nach Situation auch unterschiedlich verhalten. Unsere Interaktionspartner dagegen lernen wir in immer gleichen oder sehr ähnlichen Situationen kennen – die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie sich auch immer gleich verhalten. Zudem versuchen unsere Interaktionspartner oft auch aktiv, uns ein gewisses (meist positives) stimmiges Bild zu liefern, indem sie sich möglichst gleich verhalten. Sie liefern uns damit selbst einseitige Informationen.
  2. Unterschiede in der Wahrnehmungsperspektive: Insbesondere in Kommunikationssituationen ist die eben Situation für uns sehr wichtig und wird deshalb verstärkt wahrgenommen. Wir selbst treten wahrnehmungsmäßig in den Hintergrund. Beobachten wir dagegen eine Kommunikationssituation von außen, achten wir verstärkt auf das Verhalten der Akteure, die ja zur Situation gehören und die Hauptrolle darin spielen.
  3. Selbstwertdienlichkeit: ‚Wenn es andere tun, ist es deren Fehler. Wenn ich es selbst tue, ist die Situation schuld.‘ Beobachten Sie sich einmal selbst, wenn Sie über negative Dinge berichten: Sie werden versuchen, sich vor sich und anderen selbst zu entschuldigen, indem Sie die Umstände verantwortlich machen. Zurecht. Denn Ihr Selbstwertgefühl würde erheblich leiden, wenn Sie sich für alles Negative allein verantwortlich machen. Wollen wir auf Dauer glücklich und nicht depressiv sein, brauchen wir diese ’selbstwertdienliche Attribution‘ sogar. Andere für Missgeschicke verantwortlich zu machen ist dagegen in der Regel einfach und berührt meist nicht unser persönliches Selbstwertgefühl.
  4. Kontrollbedürfnis: Menschen haben das Bedürfnis, das Verhalten anderer in unsicheren Situationen voraussagen und kontrollieren zu können. Deshalb ist es von Vorteil, den anderen ‚zu kennen‘. Man erwartet (oder hofft) also, dass sich Menschen in allen zukünftigen Situationen gleich verhalten. Nämlich so, wie sie sich bisher auch verhalten haben. Wir sagen dann letztendlich: Aha, so sind sie eben. Wenn ich also A sage, sagen sie mit großer Wahrscheinlichkeit B.

Der Fundamentale Attributionsfehler hat also einen großen Vorteil und zwei kleinere Nachteile: Auf der einen Seite lässt er uns das Verhalten anderer Menschen mit ziemlicher Sicherheit und wenig geistigem Aufwand voraussagen.

Auf der anderen Seite kann durch ihn unsere Einschätzung anderer leicht manipuliert werden (vor allem zum Positiven in Kombination mit dem Halo-Effekt, siehe Beitrag vom 27.5.09). Und er stellt uns oft ein Bein bei Menschen, die wir eigentlich gut kennen sollten.

Gerade zur Lösung von Konfliktsituationen mit Freunden, langjährigen Kollegen und Partnern ist es deshalb von Vorteil, sich in sie hineinzuversetzen und zu versuchen, ihre Perspektive wahrzunehmen. Als Mensch, der sich in verschiedenen Situationen eben auch verschieden verhält. Und nicht ’so ist, wie er eben ist.‘

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

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